04.10.2022 – Nichts muss
Feiertag. Dieser Feiertag hat für mich immer einen bitteren Beigeschmack. Als damals die Grenzen geöffnet wurden saß ich vor dem Fernseher. Ich sah Bilder von Menschen, die über die Grenze drängten. Mein Hirn konnte es erst nicht begreifen. Es dauerte eine Weile bis mir klar wurde, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben sehr bewusst an einem Teil deutsch-deutscher Geschichte teilnehme. Ich konnte es nicht glauben. Im gleichen Jahr fuhr ich mit meinem damaligen Freund und seinem Kumpel nach Berlin. Silvester am Brandenburger Tor. Insgesamt nahmen wir uns eine Woche Zeit. Erlebten Berlin. Liefen an der Mauer entlang. Auch ich habe zwei Mauerbröckchen mitgenommen. Wir spazierten durch das Brandenburger Tor. Besuchten den Palast der Republik.
Inzwischen gibt es viele Dokus über die Einheit. Inzwischen weiß man, dass gut gehende Firmen der DDR platt gemacht wurden. Die Einheit brachte nicht nur Freude, sondern auch viel Leid. Die versprochenen blühenden Landschaften blieben aus. Es ist jener bittere Beigeschmack, den ich habe, wenn wir die Einheit feiern.
Wiedersehen
Vor zwei Wochen erfuhren wir, von der Diagnose Brustkrebs in der fernen Bekanntschaft. Wir hatten uns lose verabredet. Als wir uns trafen, waren die ersten zwei Minuten seltsam. Ich war ein wenig befangen, dann fragte ich sie einfach wie es ihr geht. Sie erzählte. Ich hörte zu. Am Ende redeten wir über alles mögliche, sogar über den Tod. Lachten viel. Als wir uns verabschiedeten versprachen wir uns spätestens nächstes Jahr wieder zu sehen. Das Leben ist manchmal ganz schön Sch…e.
Der Montag, der ein Dienstag ist
Den ganzen Tag schon denke ich es ist Montag, dabei ist schon Dienstag. Ich sitze am Schreibtisch. Die Rezension, die ich abgeschickt habe, möchte nochmal Korrektur gelesen werden. Am Donnerstag soll sie erscheinen.
Am Nachmittag recherchiere ich Adressen. Stelle fest, dass die Kontaktdaten von den Kinderinseln, denen ich Post schicken möchte und die ich noch aus meiner Beratungszeit kenne, veraltet sind. Sie waren schon veraltet, als ich dort noch beriet. Da ich weiß, wie schnelllebig Kinderinseln sind, vor allem beim Personal, frage ich mich, ob man sich deshalb nicht mehr die Mühe macht, die aktuellen Leitungen mit Namen anzugeben. Also versuche ich einen Weg zu finden, die Kinderinselmenschen noch persönlich, aber eben nicht per Namen anzuschreiben. Schwangerschaften, attraktivere Jobangebote, es gibt viele Gründe, warum jemand wechselt.
Nachmittags scheint die Sonne durchs Fenster, das geschieht nur in den Herbst- und Wintermonaten. Draußen ist es angenehm. Die gewaschene Wäsche hängt bereits draußen zum Trocknen. Die Sonne macht es am Schreibtisch warm. Heizung überflüssig.
Am Futterplatz hat sich ein Grünfink niedergelassen. Er lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Noch nicht mal von MonAmour, der immer wieder über die Terrasse nach draußen geht. Er sitzt da und futtert gelassen die Leckereien, die dort für ihn bereit liegen. Als er genug hat fliegt er davon. Ich sehe ihn heute zum ersten Mal.
Später befreie ich den Gehweg vom Laub. Ein Nachbar kommt vorbei, erzählt ganz aufgeregt. Wieder eine schlechte Nachricht. Ich biete an zu helfen, wenn Hilfe gebraucht wird. Während ich weiter kehre mache ich mir Gedanken. Vermutlich werde ich meine Nachbarin nicht wieder sehen. Vermutlich wird sie nach der Genesung in ein Pflegeheim kommen. Wenn alles gut geht.
Am Abend müssen wir noch Einkäufe erledigen. Zum Abendmahl gibt es Fisch in Salz-Pfefferpanade und Gemüse mit Kartoffelpürree.