09.04.2022 – Leere Schränke, Wände, Zimmer
Vorfreude
Am Freitag ein Weingenießerosterpaket bestellt. Darin enthalten feiner Secco, Sommerträume und andere feine Weine. Das Belohnungspaket für all die Ausräumaktionen und die Enthaltsamkeit. Hatte ich doch die Fastenzeit – geht noch bis Ostern – für eine Alkoholpause genutzt. Zweimal wurde ich schwach, was auch völlig ok ist, finde ich.
Freitag war Supervisionstag. Er fand Online statt, was wir alle gar nicht so schlecht fanden. Es ersparte uns viel Fahrerei. Die Supervision endete fast eine Stunde früher als geplant, was uns auch alle freute. MonAmour und ich nutzten die Gelegenheit um noch schnell im Supermarkt vor der Tür Butter und Pommes zu kaufen. An der Kasse freute ich mich über die Tageszeitung. Toll, dachte ich, da liegt noch eine Wochenendzeitung. Wunderte mich noch, das kommt eher selten vor, dass eine Wochenendzeitung übrig bleibt, so kurz vor Ladenschluss. Erst zuhause fiel mir auf, das ja doch erst Freitag ist. Mein Geist und mein Körper waren schon einen Tag weiter.
Stapelweise Optionen
Überall im Wohn- und Arbeitsbereich stapeln sich Kisten. Voll mit Inhalt aus den Schränken und Regalen. Vieles davon geht auf eines der Verkaufsportale. Die Option, die Möbel und Teile zu spenden, vor allem in Anbetracht der augenblicklichen Krisensituation, halten wir uns ebenfalls offen. Wir möchten nicht unbedingt Geld damit verdienen, wir möchten, dass die Dinge, eine neues gutes Zuhause finden und Menschen glücklich machen. Natürlich freuen wir uns auch über Geld, aber es ist nicht das vorrangige Ziel.
Seltsame Wesen
Der Käufer, die Käuferin sind zum Teil seltsame Wesen. Für einige dieser Wesen scheint so ein Verkaufsportal eine reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme zu sein. Da kommen dann so Anfrage, wie: Ist das noch zu haben? Brav, wie ich bin antworte ich dann freundlich, „Ja, das ist noch zu haben“. Danach setzt dann Funkstille ein. So als wären sie mit der Antwort allein schon überfordert. So nach dem Motto,“oh was mach ich denn jetzt?“
Manchmal möchte ich antworten: „Nein, es ist nicht mehr zu haben, deshalb ist es auch inseriert. Wissen Sie eigentlich ist es unverkäuflich, wollt nur mal gucken, was passiert.“ Gibt dann zwei Möglichkeiten, derjenige ist beleidigt, oder er hat Humor und lächelt.
Manchmal gibt es dann noch den Zusatz „Kann ich gleich vorbeikommen und anschauen“ oder „Wann wäre es möglich, das anzuschauen?“ Die Erfahrung hat gezeigt, dass auch nach der freundlichen Antwort wieder Funkstille eintritt. „Mit Jederzeit“ oder „wann würde es Ihnen passen?“ Sind die meisten, so scheint es, überfordert.
Dann gibt es noch die „Ich komme vorbei – Wesen“. Hier liegt die Rate bei 50/50.
50 Prozent der „Ich komme vorbei Wesen“ machen einen Termin aus. Man selbst bereitet alles vor und dann kommt das große Warten. Der Termin verstreicht. Keine Meldung mehr von wegen „Sorry, schaffe es nicht, bin aber noch interessiert. Wäre ein neuer Termin möglich?“ Nein, es passiert einfach nichts.
MonAmour und ich hatten da letztens den Fall, dass wir drei Kisten Porzellan und Gläser auspackten zur Ansicht, weil da jemand vorbei kommen wollte, der noch an weiterem Geschirr, Porzellan und Gläsern interessiert war. Boden und Bett standen voller Ware. Nach zwei Stunden warten sind wir dann wieder unserer Ausräumtätigkeit im Haus nachgegangen. Am Abend sammelten wir das ganze Geschirr wieder ein und verpackten es wieder. Wollten wir uns doch wieder Geschirrfrei bewegen.
Solche Erfahrungen können die Verkaufs-Kauf-Beziehungen belasten
Das Dumme an diesen Wesen ist nur, dass sie es den wahren Interessenten und Käufern schwerer machen. Inzwischen bin ich soweit, dass die Kiste nur noch ausgepackt wird, wenn derjenige wirklich vor der Kiste steht.
Bei Anfragen, die wie oben lauten „ist es noch zu haben?“, denke ich manchmal, lohnt sich nicht da Bits und Bytes zu verschwenden. Wenn ich dann doch antworte, weil freundlich und wohlerzogen, bin ich trotzdem in der selffullfilling prophecy Blase und denke, passiert ja dann eh nichts mehr. Irgendwann, irgendwann werde ich auf diese Frage antworten: „Nein, genau deshalb ist es inseriert“ – Paradoxe Intervention. (Sie merken schon, ich habe da was gelernt)
Das mir liebste Wesen
Das mir liebste Wesen ist, das Wesen das kommt, sieht, zahlt oder sieht, mailt, zahlt und Adresse sendet. Da sind dann manchmal auch Wesen dabei, die sich, nachdem sie ihr Paket erhalten haben, melden und bedanken.
Diese Wesen leiten ihre Mail meist ein mit: „Möchte ich haben. Kann ich auch mit PayPal zahlen?“ Die Quote des Kaufs bei diesen Anfragen liegt bei 99%. Bei Anfragen „Ist es noch zu haben?“ Liegt die Kaufrate bei 1%. Jedenfalls nach meiner bisherigen Erfahrung.
Das Paar unten gehört zu den Wesen, der mir liebsten Wesen. Beim Bett bin ich mir noch nicht sicher, denn seitdem ich fragte, ob es denn am Sonntag wirklich klappt, die Organisation des Transports klang ein wenig kompliziert, ist Funkstille.
Wir liefern auch
Letztens hatten ich einen „Möchte-ich-haben“-Mailverlauf mit einer Studentin. Es stellte sich heraus, dass sie kein Auto besaß. Des Weiteren stellte sich heraus, dass sie auf dem Nachhauseweg wohnt, wenn man denn so Mitten durch die Stadt fahren möchte. Wir boten ihr spontan an, das Teil vorbei zu bringen. Sie freute sich sehr, als wir mit dem Teil vor ihrer Tür standen. Wir freuten uns, weil wir wieder mal einem Teil ein neues Zuhause geben konnten.
Von weit her
Ein Paar, von weit her, hatte extra in Nürnberg übernachtet, um Bücherregal und Bücherschrank abzuholen. Frühmorgens kamen sie und bauten beides, teilweise mit unserer Hilfe, ab. Gemeinsam trugen wir die vielen Teile nach unten, die sie dann in ihr Auto luden. Da eines der Regale eine länge von 2,38 Metern hat, schnallten sie diese Teile in Folie gewickelt auf ihr mit einem Gepäckträger bestücktes Autodach. Bücherschrank und -regal haben jetzt ein neues Zuhause.
Jetzt steht nur noch das Bett samt Nachttisch da und der Korbsessel. Das Bett wird vielleicht Sonntagnachmittag abgeholt. Der Korbsessel darf im Haus bleiben.
MonAmour und ich wanderte danach nochmal Stockwerk für Stockwerk ab. Reste einsammeln. Putzmittel, Gartengeräte – diese Überbleibsel, die wir erst mal im Haus ließen, weil man ja nie weiß, ob man sie nochmal an Ort und Stelle braucht.
Die erste Runde, die wir fuhren, führte uns erst zum Recyclinghof, weiter zum Gebrauchtwarenhof und mit Zwischenstop beim Schwieger, erst zum Bäcker, dann nochmal zum Gebrauchtwarenhof und dann zum Haus. Beim Schwieger stand noch ein vergessener Koffer, der für den Gebrauchtwarenmarkt gedacht war. Jetzt ist er endlich dort angekommen.
Anschließend sammelten wir die zurechtgestellten Reste ein. Darunter die Gartengeräte, die wir bereits für uns reserviert hatten. Die anderen Gartengeräte verbleiben im Haus. Der Zufall wollte es, dass just in dem Moment, indem wir das Haus verließen, vom Flughafen eine Maschine gen Westen in die Ferne startete. Was für eine Symbolik.
Irgendwo auf diesem Flughafen stehen Menschen, die Abschiedstränen vergießen, weil ihre Liebsten abreisten. Irgendwo im Flugzeug sitzen Menschen, die Tränen des Abschieds und der Freude vergießen, weil sie abreisten und irgendwohin reisen. Irgendwo in weiter Ferne warten Menschen, die sehnsüchtig warten und sich freuen, weil sie bald ihre Liebsten wieder in die Arme schließen können.