19.05.2022 – Nicht mehr alle Latten an der Decke
Aus diversen Gründen treffen sich ein paar Menschen und ich statt in Präsenz in Online. Mittendrin, möchten wir ein Tool benutzen, das bedingt, dass wir den Onlineraum wechseln müssen. Beim wechseln muss ich eine „erforderliche Erlaubnis“ drücken. Finde aber den Button dazu nicht. Hektik breitet sich aus. Irgendjemand versucht mich anzurufen. Über das Tablet. Es ist die einzige Mobilnummer, die ich zurzeit habe. Es ist einer der Menschen, die sich wundern, dass ich nicht zu hören bin. Ich dagegen kann alle verstehen, komme aber nicht in diesen Raum, denn ich sehe den Button nicht.
Während des Telefonierens irgendwann sehe ich den Button. Wieder einmal frage ich mich, wieso niemand den „Schwarz-weiß-Test“ macht. Dann würde vielleicht auffallen, dass ein hellgrauer Button mit schwarzer Schrift auf einem verdunkelt grauen Hintergrund einfach übersehen wird. Die weiße Schrift, die mir sagt „Sie müssen die erforderliche Erlaubnis geben“ die sah ich sehr gut. Den Button mit dem „Okay“ leider nicht. Ich habe ihn schlichtweg übersehen. Und ich bin nicht Farbenblind. Er fügte sich nur sehr gut in den dunkelgrau gehaltenen Hintergrund ein, der über einem grünen Bild lag.
Orange und weiß
Diese lustigen Farbkombinationen, wie dunkler Hintergrund, grau unterlegter Button, schwarzer Text, oder ganz en vogue, orangefarbene Seiten mit weißer Schrift. In Büchern. Vornehmlich Fachbüchern. Versuchen Sie das mal zu lesen. Wer bitte nimmt denn in den Redaktionen der Verlage diese Designs ab?
Dabei gibt es doch diesen hübschen Test. Man drucke sein farbiges Layout in Grau aus. Ist die Schrift schwer zu lesen: Layout ändern. Andere Farbwahl erforderlich.
Nicht mehr alle Latten an der Decke
Nicht mehr alle Latten an der Decke hatten wir schon lange nicht mehr. Vor vielen, sehr vielen Monden, kam in weiter Ferne jemand auf die Idee, man könne doch das Haus umgestalten und statt einem Einfamilienhaus ein Zweifamilienhaus draus machen. Leider ging mein damals zartes Stimmchen unter und es wurde ohne Konzept gehandelt. Eine der Veränderungen, die damals in der Wohnung stattfanden, waren eine Holzdecke an die Decke des ehemaligen Kinderzimmers zu schrauben.
Irgendwann trennte ich mich vom damaligen Verlobten und kurze Zeit später trat MonAmour in mein Leben. Er hatte viel für durchdachte Konzepte übrig. Es folgte ein weiterer Umbau. Die Details, die zwischen Umbau und Aufgabe des Hauses (Sie alle wissen, dass wir ein Haus auf dem Land suchen) liegen, erspare ich Ihnen jetzt. Dies ist eine bittere Famliengeschichte und zog sich knapp 30 Jahre hin. Das der Immobilienmarkt sich jetzt so entwickelt hat, konnte ja auch keiner ahnen.
Jedenfalls wurde die Holzdecke wieder von der Decke geschraubt und lagerte bis zum 19.05.2022 im jetztigen Büro-, Lagerzimmer ein. Heute begann ein neues Leben für die damalige Holzdecke. Sie verkleidet jetzt die Wand unten im Keller. Dort wo der Tiefkühlschrank steht. Das mag jetzt ein wenig verrückt klingen. Aber die Kellerwand ist mit Zementmörtel gebaut. Das macht Sinn in feuchten Räumen, wie zum Beispiel einem Keller. Nur leider hat Zementmörtel auch den Nachtteil, das er stark rieselt. Zur Vermeidung eines immer mit Zementkörnchen berieselten Tiefkühlers entstand die Idee, die Wand und Decke zu verkleiden. Voila, damit hatten die Holzlatten eine neue Aufgabe und wir müssen kein Haus mit einem passenden Zimmer suchen ;-). Zudem wissen wir ja nicht, wann wir das Objekt finden, welches uns so vorschwebt. Inzwischen sind wir schon am überlegen, ob wir nicht vielleicht bauen. Doch auch ein passendes Grundstück muss erst einmal gefunden werden.
Die Ausnahme?
Es ist doch immer wieder interessant, wie ich mich selbst anfange vor anderen zu rechtfertigen, nur weil ich nicht allen scheinbar üblichen Konventionen entspreche. Wie letztens erwähnt habe ich es bis vor einer Woche geschafft mich von allen sozialen Medien mit FolgeMir-Aufruf fernzuhalten. Ich habe es jetzt auch geschafft seit meiner Beendigung meines Arbeitsverhältnisses kein Smartphone mein eigen zu nennen. Doch plötzlich wird es zum Thema, dass ich als einziges Mobilgerät ein Tablet nutze. Also mehr oder weniger. Eher weniger. Mein Tablet ist ein Arbeitsgerät. Wenn ich wohin fahre, wo ich noch nicht war, dann navigiert es mich. Manchmal dient es mir auch als Lesegerät für Bücher und Fachzeitschriften – sofern diese digital vorhanden sind. Manchmal auch einfach nur, um damit unterwegs bequem ins Internet zu kommen oder weil mit einem Interessenten ein Termin vereinbart wurde und ich damit erreichbar bin.
Das Tablet dient mir jedoch nicht als „Dauer-Ich-bin-Erreichbar-Gerät“. Zwar ist es meist aufgeladen, sofern ich daran denke. Oft ist es jedoch Aus, weil eben nicht gebraucht, und damit auch nicht aufgeladen. Hier im Haus reicht die Festnetznummer und im übrigen Leben auch. Seitdem ich nicht mehr arbeite und ich freiberuflich noch nicht soviel unterwegs bin, gab es bisher keine Notwendigkeit unbedingt ein Smartphone zu besitzen. Bisher ging alles ohne.
Ich weiß, dass ist völlig abweichend. Denn es ist einfach nicht mehr üblich in unserer Gesellschaft kein Smartphone zu besitzen und nicht mindestens bei jedem Piep oder „rrrrr“ (stellen Sie sich jetzt bitte Vibration vor) das Ding in Händen zu halten und zu gucken, wer jetzt vor welchem Supermarktregal steht. Sorry. Ich beobachte das wohl zu oft.
Nun bin ich aufgrund des nicht vorhandenen Smartphones auch in keiner dieser „Gruppen“ mit dieser tollen Funktion, sich mit schnellen Nachrichten über den Preis der Butter zu informieren. Für mein Tablet habe ich mir diese Funktion auch verbeten. Aus oben genannten Gründen.
Allein als es darum ging, warum ich denn nicht der „Gruppe“ beitrete, wurde ich schon ein wenig seltsam beäugt. Nachdem ich jetzt ja nicht in den digitalen Raum kam und ich ja nicht in der „Gruppe“ bin, ich jedoch meine Tabletmobilnummer für Notfälle hinterlegt hatte, wurde ich von der Kollegin angerufen und gefragt, wo ich denn bleibe. Immerhin konnten wir so klären was los war. Im übrigen hätte ich auch über das „Portal“ eine Nachricht schreiben können. Denn eigentlich ist das der Kommunikationsraum für Nachrichten, die die „Gruppen“ betreffen. Inzwischen kommuniziert man also in mehreren Räumen zum gleichen Thema.
Es kam dann natürlich, was kommen musste, denn hatte ich nicht gerade gesagt, ich sei Mobil nicht erreichbar, weil ich kein Smartphone besitze? Richtig. Und so erklärte ich mal wieder, warum wieso weshalb. I’m a alien.
Ich merke aber schon, wie ich dem gesellschaftlichen Druck, der kaum zu spüren war, nachgebe. Indem ich ernsthaft überlege, mir wieder ein Smartphone anzuschaffen. Natürlich aus rein beruflichen Gründen. Jetzt wo ich mein Angebot erweitere. Und diese „FolgeMir-Portalen“ in die Business-Strategie einbaue.
Gesellschaftlicher Druck
Kein Smartphone zu besitzen ist fast genauso unmöglich wie zu sagen: „Ich oute mich jetzt mal. Ich habe für mich entschieden kinderlos zu bleiben.“ In einem Raum indem fast nur Frauen sitzen, die fast alle Kinder haben, beziehungsweise bei denen die Familie gerade gerne Enkel sehen möchte, ist das ebenso als wäre man gerade aus einem Ufo gestiegen. Unterschwellig wird einer Frau, die bewusst kinderlos blieb, Egoismus unterstellt. Reframed kann man ihr auch Soziale Verantwortlichkeit unterstellen.
Als ich mich zu dem Thema in meiner Gruppe äußerte, wir hatten gerade dieses Thema, und bekannte, dass ich bewusst keine Kinder habe (natürlich gab es auch bei mir mal einen Zeitpunkt, wo ich mir das vorstellen hätte können, schließlich wollte ich ja mal heiraten und auch ich dachte „das gehört sich doch so“), entspann sich dazu ein lebendiger Austausch.
Plötzlich wurde klar, wie sehr Frauen im besten gebärfähigen Alter mit stabilen Beziehungen unter Druck stehen. Wie sehr sie unter der Frage „Und, wann bekommt ihr denn Kinder?“ leiden und sie damit unter Druck gesetzt werden. Es wird einfach erwartet, dass man Kinder bekommt. Wer da nicht freudig „Hurra, Hurra“ ruft und bereits tags darauf mit dem Ultraschallbild auf dem man angeblich Füße und Köpfchen sehen kann aufwartet, mit dem stimmt doch was nicht.
I’m a Alien
Tatsächlich ist es so, dass man sich dann viele Ausreden einfallen lässt, warum jetzt nicht. Manchmal bekommt man auch so einen mitleidigen Unterton „Ach, ihr habt gar keine Kinder?“ Wer nämlich keine Kinder hat, der kann bestimmt auch keine Kinder bekommen. Als Frau zu sagen „Ich hätte vielleicht schon Kinder bekommen können, ich habe mich jedoch bewusst gegen Kinder entschieden“ das löst vor allem Unverständnis aus. Würde ich sagen, „ich kann keine Kinder bekommen“ wäre die Akzeptanz größer, hätte jedoch auch immer dieses mitleidige Bedauern „Oh,da entgeht dir aber was. Das war bestimmt schwer“. Und das empfinde ich oft als noch viel schlimmer. Eine zeitlang fand ich diesen Satz einfacher. Bequemer. Keine Ausreden, kein erklären warum, wieso, weshalb. Vor allem nicht das Gefühl ein Alien zu sein, eine Egoistin.
Fand ihn jedoch gegenüber den Frauen, die wirklich keine Kinder bekommen können und viel viel Leid durchmachen,unfair. Naja, und irgendwann kommt man ja dann auch in das Alter, wo es für Frauen zwar noch möglich, aber schwieriger wird Schwanger zu werden. Inzwischen stehe ich dazu. Und trotzdem ist es als hätte man einen Makel. Als wäre man einem Ufo entstiegen. Nur, weil ich für mich, wie viele andere Frauen auch, beschlossen habe, dass ich keine Kinder haben möchte.
Ich frage mich allerdings auch, was sagt es über unsere Gesellschaft aus, wenn ich zwar über vieles frei bestimmen kann, aber wie ein Alien behandelt werde, wenn ich klar sage: „Ich will keine Kinder haben“.