30.06.2023 – Abschied, Trennung, Tod
Heute ein denkwürdiges Datum. Es war das letzte Mal, dass wir uns so wie heute im Seminar trafen. Es war ein seltsamer Tag. Die ganze Woche schon wurden wir auf den Abschied hingewiesen. Es war schon fast ein wenig nervig, dass man uns gefühlt alle fünf Minuten erzählte, dass mit dieser Woche die Seminare enden, wir so nicht mehr zusammenkommen werden.
Alles geschah in dieser Woche ein letztes Mal.
Kurzzeitig verabschiedete ich mich mal aus dem Seminar und verbrachte den Mittwoch in München. Zum ersten Mal besuchte ich nach meiner Anmeldung im Bundesnetzwerk das Regionaltreffen Bayern. Es ist immer ein seltsames Gefühl, wenn man das erste Mal wohin geht und alle Menschen, die dort sind, sich kennen, weil sie schon seit Jahren dabei sind. Vor allem, wenn man so wie ich eher gehemmt ist auf Menschen einfach zu zu gehen. Auf die Ansprache: „Ich brauche jetzt was fruchtiges und klau mir mal die Weintrauben.“ Fiel mir auch nicht mehr ein als: „Bedienen Sie sich gerne.“
Nach dem Netzwerktreffen traf ich MonAmour wieder, der mich chauffierte und derweil zum und im englischen Garten flanierte.
Abschweifende böse Gedanken
Als wir am Freitag in der Abschlussrunde standen, durfte jede/r noch einen Satz sagen. Dann gab es ein einfaches „Tschüss“ und schon verteilten sich die Leute zu ihren Sachen und Heimreisemitteln. Ein seltsames Ende. Irgendwie. Ebenso seltsam fand ich diese Verabschiedung. Das fröhlich in den Raum geworfene: „Tschüss, chicas“.
Vorbei?
Ja, wir sehen uns noch mal in dieser Konstellation am Kolloquiumstag. Ansonsten nur noch in den Peergruppen und in der Supervisionsgruppe. Als große Gruppe jedoch erst wieder zum Kolloquium zur Zertifikatsübergabe bzw. Teilnahmebescheinigungsübergabe.
Das Thema des letzten Seminars war auch sehr passend gewählt: „Abschied, Tod, Trennung“.
Auf der einen Seite ist es endgültig und klar, dass es vorbei ist. Alles was bleibt ist die Erinnerung an schöne Tage, an die Reko, das Miteinander dort, das sich nochmal anders kennenlernen. Mehr wird es nicht sein. Wir werden alle wieder unserer Wege gehen.
Der ein oder andere versucht den Abschied hinaus zu zögern, indem er im Anschluss gleich die Familientherapieweiterbildung besucht. Neue Menschen, vertiefende Erkenntnisse, andere Seminarleiter, gleiche Räume.
Manch einer geht davon aus, dass die Peergruppe Bestand hat. Wäre da nicht die Erfahrung, die lehrte, dass auch diese Treffen irgendwann der Zeit zum Opfer fallen werden und keine weiteren Treffen mehr stattfinden werden. Vielleicht werde ich ja auch eines besseren belehrt und wir treffen uns ein- bis zweimal im Jahr zum kollegialen Austausch. Es schaffen nur wenige Menschen und wenige Gruppen über Jahre hinweg sich ein- bis zweimal im Jahr zu treffen.
Das Leben
Es ist Samstag. Seit Montagabend habe ich Johnnisbeeren im Kühlschrank. Eigentlich wollte ich mal nach Feierabend rote Grütze und Gelee daraus machen. Da die Seminartage jedoch erst gegen 17:30 Uhr endeten – meist wohl auch später – eine Viertelstunde mehr fällt mir meist nicht auf, weil es für mich einfach endet, wenn es endet und ich nicht, wie manch anderer Anschlusstermine habe oder Kinder, zu denen ich nach Hause eilen möchte. Meine Mitkolleg*innen äußerten sich in die Richtung, dass wohl immer überzogen wird. Aber was heißt schon immer, wenn es einmal in der Woche vorkommt.
Jedenfalls kam ich meist erst mit Fahrtzeit und schnell noch ein paar Einkäufe erledigen, eine bis eineinhalb Stunden später Zuhause an. Einmal auch wegen dem berühmten Stau an den Rampen, den ich normalerweise, außer an diesem Tag, versuche großräumig zu umfahren. Jedenfalls schaffte ich es erst am Freitagnachmittag, wir hatten früher Schluss, die Beeren zu lesen, zu waschen und anschließend zu kochen, so dass über Nacht der Saft für das rote Johannisbeergelee abtropfen konnte.
Samstagmorgen bereitete ich die Gläser vor, die in kochendem Wasser in einem Topf 10 Minuten vor sich hinkochen durften bevor das Gelee in die Gläser kam. Es ist mein erstes Johannisbeergelee. Die rote Grütze muss derweil noch warten. Vielleicht friere ich die schwarzen Johannesbeeren erst einmal ein. Die Idee dahinter, die rote Grütze für die Abschiedsfeier nach dem Kolloquium als Nachspeise zu kredenzen.
Samstagnachmittag fahren wir zur Halle. Das Wetter ist uns zu unsicher, doch MonAmour möchte an einem der fünf Freunde etwas nachschauen. Als wir dort ankommen erfahren wir, dass unser Vermieter einen schweren Unfall hatte, den er knapp überlebte. Er war aus größerer Höhe von der Leiter gestürzt. Inzwischen ist er wieder Zuhause. Demnächst beginnt die Reha.
Eine Sekunde im Leben, die alles verändert. Plötzlich ist nichts mehr normal. Tod und Leben dicht beieinander. Der Schock sitzt noch tief. Die Vermieterin verabschiedet uns mit den Worten „Genießt Euer Leben!“
Sonntagsspaziergang
Wir hatten beide keine Lust großartig durch die Gegend zu fahren. Wir entschieden uns für einen Spaziergang. Ich wollte nach Limbach. Dort wird gerade die Sparkasse abgerissen. Neben der Sparkasse stand mal ein Gasthaus mit einem wunderschönen Biergarten. Jetzt ist dort ein großes Loch. Was dort demnächst entstehen wird, ist noch unbekannt. Der Weg führt uns nach Wolkersdorf. Wir besuchen dort den Friedhof und lassen uns auf einer Bank im Schatten nieder. Sitzen einfach da und hängen unseren Gedanken nach. Vor uns ein Grab mit einem Knick. Sind das nicht immer die Gräber in den Horrorfilmen aus denen dann die Untoten steigen?
Während wir so sitzen und die Stille genießen, das Blätterrauschen (so still war es dann doch nicht). Fragt sich MonAmour, was wohl mit den Leichen passiert, wenn Gräber aufgelöst werden. Das Internet gibt Auskunft: Für aufgelöste Gräber gibt es eine Ruhezeit. Diese soll dazu beitragen, dass „dass die Gräber nicht erneut belegt werden, bevor nicht der in ihnen bestattete Leichnam vollständig verwest ist. Nach dieser Ruhezeit bemisst sich die Neubelegung eines Grabes. Wenn beim Ausheben des Grabes Gebeine gefunden werden, werden diese meist gesammelt und tiefer wieder bestattet„. (Otto Berg – Bestattungen)
Wenig später laufen wir noch ein wenig durch die Reihen. Eine Reihe fällt durch ihre unkonventionellen Grabgestaltungen auf. Ich trete näher heran. Das eine Grab kenne ich schon. Die drei anderen sind neu. Mir neu. Ein Kind, gerade ein Jahr alt. Ein weiter junger Mann. Das Sterbedatum erinnert mich an den schweren Unfall von dem ich las. Sollte das etwa der junge Mann sein, an dessen Unfallstelle ich vorbei komme, wenn ich Richtung Metropole fahre? Das Datum kommt hin. Das Alter auch. Ein unerklärlicher Tod. Wie jeder Tod eines (jungen) Menschen. Das weitere Grab, welches ebenfalls ein wenig unkonventioneller daherkommt, ein Mann. Etwa in unserem Alter. Etwas älter. Den Grabbeilagen zu urteilen ein fröhlicher, lebenslustiger Mensch.
Der Tod
Leben und Tod. Es scheint gerade als würde mich das Thema „Abschied, Trennung, Tod“ noch weiter begleiten. Am Samstag die Tageszeitung gekauft. Die aus der Region, die ich nur ab und an erwische. Im Regionalteil lese ich am Sonntag die Traueranzeigen durch. Drei Anzeigen fallen mir ins Auge. Eine eines Ehepaars. Sie starben am selben Tag. Die anderen zwei tragen einen mir bekannten Namen. Sehr entfernte Verwandtschaft. Wieder einmal hat der Krebs gesiegt. In der Anzeige selbst wird darauf hingewiesen von Beileidsbekundungen abzusehen und auch Trauerkleidung ist unerwünscht. Es ist schon die zweite Anzeige, die Kleidungshinweise enthält. In einer steht „Bitte farbenfrohe Kleidung tragen. Der Verstorbene hätte es sich gewünscht.“ Dieser Satz könnte auch in meiner Traueranzeige stehen. Es erinnert ein wenig an „Dia de los Muertos“. An den Tag der Toten, der in Mexiko farbenfroh mit Essen und Trinken auf dem Friedhof gefeiert wird.
Wir denken ja oft, wir sind unsterblich. Manchmal ist es die Information über eine Krebsdiagnose eine nahen Menschen, die uns daran erinnert, dass das Leben endlich ist, manchmal eine Meldung in der Zeitung über einen schrecklichen Unfall, manchmal der Tod eines nahen oder entfernteren Menschen, der uns an die Endlichkeit des Lebens erinnert. Nur vergessen wir es oft. Auf der einen Seite ist das gut, weil wir damit unser Leben einfach leben ohne viel darüber nachzudenken, dass mein Ärger, zum Beispiel, vielleicht gar keinen Grund hat. Andererseits denke ich oft, wenn wir uns mehr daran erinnern würden, würden wir uns dann wirklich jeder Laune hingeben? Würde ich dann anders reagieren?
Oft genug frage ich mich, was ist wirklich wichtig im Leben. Auch die Weiterbildungswoche hat mir, uns, wieder bewusst gemacht, öfter mal sich die Zeit zu nehmen und sich zu fragen, was ist mir wirklich wichtig im Leben.
Unser Seminarleiter gab uns eine Übung an die Hand, die irgendjemand in einem Buch veröffentlichte. Sinngemäß geht es darum die eigene Grabrede aus Sicht von Freunden, der Arbeit, der Familie zu schreiben. Damit soll für jeden selbst Klarheit entstehen, was sich im Leben verändern sollte, was bleiben sollte, was bereits gut ist, welche Ziele man hat, wie und wohin sich das eigene Leben noch entwickeln kann und soll. Eine Rückschau auf das eigene Leben.
„Genießt euer Leben! Jeden Tag!“
Über diesen Satz denke ich immer wieder nach. Welche Bedeutung hat dieser Satz? Was heißt es „sein Leben zu genießen“? Was heißt „Genuss“ in diesem Zusammenhang? Ich schätze für jeden etwas anderes. Der Satz wird mich noch eine Weile beschäftigen.