04.11.2020 – Dürfen Sie Fehler machen?
Vorbereitungen zu Schutzkonzept und Beschwerdeverfahren
Ich bereite mich auf das Thema Schutzkonzepte vor. Jede Kinderinsel braucht ein einrichtungsspezifische Kinderschutzkonzept. Ein Kinderschutzkonzept sollte neben der Analyse von Risikofaktoren, dem etablieren von Verfahrensweisen, zur Vermeidung und sofortigen Handlungsfähigkeit bei einer Kindeswohlgefährdung bzw. in einem Verdachtsfall, auch ein Beschwerdeverfahren beinhalten.
Im Zusammenhang mit dem Thema Beschwerdeverfahren, ist ganz viel die Rede von einer „freundlichen Fehlerkultur“. Ich lese dazu den Satz, „dass es auch von Seiten der Erwachsenen Fehlverhalten, Unvollkommenheiten und Verbesserungsmöglichkeiten gibt“. In den vielen alltäglichen Situationen, die wir mit Kindern und Kollegen erleben, ist es allzu menschlich, dass wir uns mal im Ton vergreifen, unbedacht etwas äußern, was wir selbst als Kind von unseren Eltern hörten und dachten, wir wären so reflektiert, dass uns dies niemals über die Lippen kommt. Doch plötzlich sind wir in einer Situation, in der wir an unsere Grenzen kommen und schwupps draußen ist die unleidliche Bemerkung. Versprechen Kindern oder Kollegen etwas, was wir aus Zeitmangel oder weil wir es vergessen haben, nicht einhalten.
Da ist dann eine Beschwerde von Kindern, Kollegen schnell vorgebracht. Doch was dann, wie geht es dann weiter mit der „freundlichen Fehlerkultur“? Was ist das eigentlich eine „freundliche Fehlerkultur“? Fragen über Fragen.
Ich versuche mich gedanklich diesen zu nähern und nehme sie bei meinen Gedanken einfach mit.
Sich beschweren ist einfach, die Beschwerde anzunehmen weniger
Auf dem Papier wissen wir alle, dass wir nicht perfekt sind, dass wir Fehler machen. Aber ist es auch in unseren Köpfen? Ist es auch in unseren Herzen? Gestehen wir uns und anderen wirklich zu, dass sie bzw. wir Fehler machen dürfen? Ja, ja, der Volksmund sagt, dazu, dass wir aus Fehlern lernen. Was ja auch stimmt. Jedoch nur, wenn mir der Fehler, den ich gemacht habe bewusst ist, ich einsehe, dass es ein Fehler war und ich reflektiere, wie ich den Fehler zukünftig vermeiden kann bzw. was ich hätte anders machen können. Dann habe ich vielleicht aus meinem Fehler gelernt. Trotzdem bleibt immer noch die Frage, darf ich in der Arbeit, darf ich im Privaten Fehler machen? Oder ist es doch eher so, dass ich von mir und von anderen, im privaten wie im beruflichen Kontext, erwarte, dass sie und ich fehlerfrei sind?
Nehmen wir das Fehlverhalten des Anderen hin, nach dem Motto „ist ja nichts passiert“ und ärgern uns tierisch. Oder versuchen wir konstruktiv damit umzugehen, indem wir uns dem Mensch und dem Fehler annehmen, gemeinsam nach Lösungen suchen?
Was heißt denn „freundliche Fehlerkultur“? Darf ich auch, weil mir das alles so unangenehm und peinlich ist, auch erst einmal sagen, „will ich nicht drüber sprechen“ ? Zumindest erstmal, bis ich mich gesammelt habe?
Freundliche Fehlerkultur
Eine freundliche Fehlerkutlur bedingt ja genau dieses, dass ich darüber spreche. Aber ich muss auch das Vertrauen haben, dass ich Fehlerverhalten an- und aussprechen darf. Zur Fehlervermeidung gehört eben nicht der Rüffel und die Sanktion, sondern das darüber Reden und Analysieren, wie es dazu kommen konnte, wie die Ursache beseitigt und das Risiko der Wiederholung minimiert werden kann. Dazu muss ich jedoch selbst gelernt haben, dass ich fehlbar, fehleranfällig und fehlerhaft bin sowie andere auch. Ich muss gelernt haben, dass ein Fehler ein Fehler ist, der in mir erst einmal alle möglichen Emotionen auslöst, und ich mich minderwertig und unzulänglich fühle. Es nutzt jedoch nichts, wenn dann auch noch Salz in die Wunde gestreut wird. Jedoch auch dieses ist menschlich, dass beim Erfahren eines Fehlers sich auf der anderen Seite ebenfalls Emotionen ihren Weg suchen. Auch wenn diese wirklich destruktiv und wenig produktiv sind. Viel wichtiger ist doch, was dann passiert. Wenn die Wogen sich wieder geglättet haben.
Reflexionsbereitschaft und kollegiale Beratung als Voraussetzung
Dazu gehört, die gemachten Fehler sachlich zu analysieren, ihre Ursachen herauszuarbeiten und Maßnahmen, um Wiederholungen zu vermeiden. Dazu gehört jedoch ein Klima, der Wertschätzung. Ohne Rechtfertigung, Schuldzuweisungen und Angst. Dazu braucht es eine vertrauensvolle Atmosphäre, in der ich Fehler offen legen darf, ohne gleich Sanktioniert zu werden. Und die Bereitschaft miteinander zu reflektieren und der kollegialen Beratung.
Eine freundliche Fehlerkultur bedeutet jedoch auch, dass ich gelernt habe Feedback in Ich-Botschaften zu geben, Feedback anzunehmen, darüber nachzudenken und sagen zu dürfen, was davon ich für mich annehme. Das ist nicht immer einfach und geht auch nicht von heute auf morgen. Dafür braucht es von allen Beteiligten die Bereitschaft eine freundliche Fehlerkultur zu etablieren und leben zu wollen. Als auch sich miteinander auf den Weg, der Umsetzung zu machen.
Aus der Praxis
Freundliche Fehlerkultur lernte ich heute ganz praktisch an mir selbst. Da hatte ich völlig vergessen, dass ich einen Videotermin hatte. Ich merkte dieses eineinhalb Stunden später. Als ich den PC hochfuhr und meine Mail las. Ja, es war mir peinlich, ja es traf mich siedendheiß. Ich schrieb eine Mail und weil es mir so arg, war griff ich noch zum Telefon, um mich persönlich zu entschuldigen. Was sagt der Mensch zu mir? „Das kann doch jedem Mal passieren. Sowas passiert halt. Ist menschlich. Wollen wir einen neuen Termin ausmachen?“ Ja, das taten wir. Wohlwissend, dass ich beide, den neuen als auch den vergessenen Termin, auf der Rechnung finden werde. Aber so ist das. Ich könnte mich jetzt grämen und schämen. Es ist ärgerlich, das mag ich nicht verhehlen. Doch es ist menschlich. Was kann ich tun? Ich beschloss ab sofort den analogen Kalender aufgeschlagen auf den Schreibtisch zu legen und bereits am Abend zu schauen, was am nächsten Tag ansteht. Der Mensch mit dem ich den Termin hatte, wird mir zukünftig, die Einladung zum Meeting früher senden. So arbeiten wir beide an einer Lösung.