26.06.2022 – Peng, Poing, Klirr, Schepper
Aufgestanden, gute Laune, Kaffee getrunken, ein Bad genommen, immer noch gut drauf gewesen, zum Schwieger gefahren, Trinken und Tasche aus dem Auto genommen, ins Wohnzimmer gelaufen alles abstellen wollen. Peng. Die Tasche mit den Wasserflaschen macht sich selbständig und landet statt am Sessel vorzeitig mit einem lauten explosionsartigen Geräusch am Boden. Herr Mohnblume explodiert im gleichen Augenblick und ich fühle mich wie ein kleines Kind, dass in die Ecke muss.
Früher war Herr Mohnblume auch mal gelassener. Es folgen ein paar laute Worte zwischen einem ziemlich schlecht gelaunten Ehepaar. Anschließend ein gemeinsames beseitigen von Scherben – die sich in winzigsten Splittern im ganzen Raum verteilt haben, obwohl die zwei Flaschen auf einen weichen Teppich geknallt sind – und Wasser aufsaugen mit Papiertüchern, um anschließend die Minisplitter vom Teppich saugen zu können.
Zwischenzeitlich kommt der Termin aus Frankfurt, um den Kofferraumdeckel abzuholen, der in der Garage stand. Unterhaltung und Gelächter an der Tür. Während ich im Gefühlschaos mit Papiertüchern versuche den Teppich und meine Tränen trocken zu bekommen.
In meinem Kopf eine komische Schleife, dieses kleine Mädchen in mir ist tief verletzt.
Irgendwann frage ich mich: Wann ist das passiert? Seit wann explodiert eigentlich Herr Mohnblume so ungehalten, bei einem dummen Missgeschick? Und wo zum Geier ist eigentlich mein Selbstbewusstsein hinverschwunden? In welcher dunklen Ecke versteckt sich das eigentlich gerade? Immerhin hat es sich kurzfristig gezeigt, um dem Mann Paroli zu bieten. Um sich danach wieder in irgendeine dunkle Ecke zu verkrümeln.
Dummerweise kommen meine Gefühle nicht zur Ruhe. Das kleine Mädchen findet die Welt gemein und macht sich schlecht, weil es nichts richtig machen kann. MonAmour hingegen bemüht, dem kleinen Mädchen Trost zu spenden, es aufzuheitern, scherzt, dass Teppichreinigung im Plan heute nicht vorgesehen war. Nur das kleine Mädchen hasst gerade die Welt und fragt sich, was noch alles zerbrochen ist.
Das Chaos ist gemeinsam beseitigt, der Teppich und die Bodenumgebung vom Staubsauger von den Splittern befreit.
Das Chaos in meinem Kopf und emotional bleibt mir noch eine ganze Weile erhalten.
Beim Bäcker
Wieder im Auto bemerkt MonAmour, dass er vergessen hat zu Frühstücken. Er hat Hunger. Deshalb steuern wir den nächsten Bäcker an. Ich kämpfe weiter mit meinen Gefühlen und den unversiegbaren Tränenfluss. Vor dem Bäcker gelingt es einigermassen. Im Cafégarten sitzen im Abstand zueinander zwei ältere Ehepaare. Ich steige ebenfalls aus, laufe über die Rabatte und knicke mit dem rechten Fuß um.
Seitlich von mir, sagt eine männliche Stimme: „Ned fallen“. Tatsächlich kann ich mich gerade noch so halten. Eine andere männliche Stimme zu seiner Frau: „Siechst des, so schnell ganz geh.“ Ich versuche einigermassen würdevoll, sofern das mit einem aufgeschürften und umgeknickten wehen Knöchel geht, in die Bäckerei zu kommen.
Nachdem der Einkauf erledigt ist, gehe ich außenrum, die Gefahr mit dem Fuß nochmal umzuknicken (in letzter Zeit braucht es dafür gar keine Bordsteinkanten, gerade Wege reichen auch) ist mir über die Rabatte zu groß.
Außer einer Schürfwunde am Knöchel und einem angeknacksten Selbstbewusstsein ist weiter nichts passiert.
Der Tag…
… wird dann doch noch gut. Wir fahren zu einem angebotenen Objekt. Wir hatten beide beschlossen, als wir das Objekt in der Anzeige sahen es vor Ort zu besichtigen. Nicht weil es uns auf Anhieb gefiel. Wir sahen da beide noch viel Potenzial, sondern weil es bereits über eine Halle mit Rolltoren verfügt und mal eine LKW-Werkstätte war. Ob jetzt Auto oder LKW macht jetzt nicht so den Unterschied.
Die Realität sieht dann oft anders aus. Wo auf dem virtuellen Straßenplan noch Abstände sind, sind vor Ort dann plötzlich keine mehr. So auch hier. Neben dem Objekt wohnt und arbeitet ein Landschaftsgärtner, mit dem man sich wohl den Hof teilt. Vielleicht markieren auch die aufgestellten Bäume, die Grenze. Der Abstand zum Nachbarn also eher wie bei einem Reihenhaus.
Ansonsten viel zuviel zu tun. Dafür ist der Preis zu hoch. Das Eternitdach der Halle (die wäre nämlich schon da, samt Grube, ordentlichem Boden und Heizung), bereitet Sorge. Erstens ist die Entsorgung nicht ganz einfach. Das Baujahr lässt Asbest vermuten. Zweitens kostet so eine Dacheindeckung gerne mal den Preis eines Mittelklassewagens mit guter Ausstattung. Der Hof bräuchte ein wenig Beton und das Haus viel Liebe und architektonisches Geschick.
Der Ort umzingelt von diversen Biogasanlagen. Das mag angesichts des kommenden Winters und der prophezeiten „schlechten und teuren“ Zeiten eine Alternative sein, nur ob der Güllegeruch, der durch das Land weht irgendwann geruchlos wird, weil man sich vielleicht daran gewöhnt, keine Ahnung.
Die Bilder entstanden im Laufe der Woche. Auf der einen Seite des Hauses hatten wir einen farbigen Sonnenaufgang und auf der anderen Seite einen wunderschönen Regenbogen.
Das kleine Mädchen
Das kleine Mädchen begleitet mich den Tag über. Es will beachtet werden. Ich verspreche mich zu kümmern.
Letztens hatte ich ja von alten Zöpfen und alten Geschichten geschrieben. Eben beim Schreiben und noch mal sortieren des Tags gestern, winkte das kleine Mädchen wieder. Vor sehr sehr vielen Jahren hat es schon einmal gewunken. In einer Beratungsstunde begleitete ich es liebevoll und gab ihm die Zuwendung, die es vor noch viel mehr Jahren gebraucht hätte. Vielleicht braucht es jetzt wieder Gehör und Zuwendung.
Im Buchcafè
Im Buchcafé liegen gerade Bücher zum Thema „Wechseljahre“ bereit. Eines der Bücher, „Die gereizte Frau: Was unsere Gesellschaft mit den Wechseljahren zu tun hat“ von Miriam Stein, habe ich bereits gelesen. Die erwachsene Frau in mir, die gerade ein neues Selbstbewusstsein entwickelt, keinen Bock mehr hat ihre Bedürfnisse ganz hinten in die Schlange einzureihen, die die gerade dabei ist neue Wege zu gehen und ein neues Frauenbewusstsein aufbaut, die findet, dass es Zeit wurde, dass das Thema „Wechseljahre“ ins Bewusstsein der Gesellschaft rückt. Sie, also Frau Stein, zeigt auf, wie wenig diese sehr lange Phase im Leben einer Frau weder von Ärzten noch von der Gesellschaft ernst genommen wurde und auch noch wird. Wie sehr Frauen mit all ihren Veränderungen allein gelassen werden. Als zickig und anstrengend bezeichnet werden. Und selbst Frauenärzte auf all die Symptome oft nur mit Achselzucken reagieren, weil das Thema „Wechseljahre“ in der Facharztausbildung nicht dran kommt. Es bleibt dem Frauenarzt überlassen, wie sehr er/sie sich dem Thema widmet, um seinen Patientinnen individuelle Hilfen und Möglichkeiten aufzuzeigen. Zu oft werden Frauen in den Wechseljahren nur auf ihre Symptome reduziert, oft genug auch die Symptome nicht als Wechseljahre erkannt.
Midlife-Crisis?
Mir persönlich werden die Männer und ihre Wechseljahre, besser bekannt als Midlife-Crisis, auch zu wenig beachtet. Beziehungsweise zu einseitig, wenn die Suche nach Abenteuer und Hinwendung zu jüngeren Frauen auf den Begriff Midlife-Crisis reduziert wird. Im Hause Mohnblume ist dieses weniger zu beobachten. Dagegen sind vermehrt Pessimissmus, Unzufriedenheit, Überlastung und explosive Stimmungen zu beobachten. Wer da nicht ab und an seine Koffer packen möchte.
Auf die Schnelle lese ich was zu tun ist, wenn der Mann sich in der Midlife-Crisis befindet: 1. Seine Krise ernst nehmen (Wer bitte nimmt meine Krise ernst? Hören wir Frauen nicht viel zu oft: Da musst du durch, das ist halt jetzt so, stell dich nicht so an, sei halt nicht so zickig.), 2. Veränderungen zulassen (Äh? Wer bitte nimmt denn Rücksicht auf meine Veränderungen? Oder die Veränderungen der Kollegin, die sich in der gleichen Phase befindet? Wer bitte lässt denn meine Veränderung zu? Gibt es da Zulassungsstellen für?) 3. In der Krise eine Chance sehen (Ehrlich jetzt? Manches klingt wie frisch aus dem Kalender gezupft), 4. Seinen Blick auf das Positive lenken (Bin ich die Heilsarmee, oder was?), 5. Sein Selbstvertrauen stärken (Und was ist mit meinem Selbstvetrauen? Wer stärkt das? Oder was denkt ihr, wo das kleine Mädchen plötzlich herkam?)
Überhaupt, wenn man bei der großen Suchmaschine „midlife crisis mann“ eingibt, bekommt frau unter anderem auch „midlife crisis mann wie soll frau sich verhalten“ angezeigt. Ich habe jetzt wirklich oft nach Wechseljahren Beschwerden oder Wechseljahre Symptome gesucht, aber „wechseljahre frau wie soll mann sich verhalten“ tauchte da nicht auf. Im Gegenteil bei „wechseljahre symptome“ kommen zusätzlich „brust“, „periode“ „schwindelgefühl“ und noch ein wenig was, aber Verhaltensregeln für den Mann – Nada.
Untersützung – Wo bist Du?
Was sagt uns das jetzt? Vermutlich genau das, was Frau Stein mit ihrem Buch ändern möchte. Das Frau eben nicht einfach alles hinnehmen muss und möglichst irgendwie ihre Symptome in den Griff bekommt und zwar bitte still und leise, damit Mann und Gesellschaft von der „Zicke“ befreit wird. Während die Midlife-Crisis des Mannes durch die Gesellschaft akzeptiert wird und der Frau, wieder einmal die Rolle der „Fürsorgerin“ und „Pflegerin“ zu kommt. Ärgerlicher ist eigentlich, dass dieses Klischee, der Mann bräuchte jetzt besondere Zuwendung, auch noch von einer Frauenzeitschrift propagiert wird. Wo bleibt denn meine Zuwendung? Wer bitte begleitet mich denn fürsorglich durch die Wechseljahre mit alle ihren Veränderungen und Unannehmlichkeiten?
Während also eine Frauenzeitschrift Frau den Tipp gibt, dass der Mann in seiner Midlife-Crisis von Frau besonders betütert werden soll, frage ich mich „Wer eigentlich uns, die wir uns in den Wechseljahren befinden betütert? Warum gibt es eigentlich keinen Artikel zu „Wie Sie Ihrer Frau durch die Wechseljahre helfen“ Sorry. Heute steht da „Wie Du Deiner Frau durch die Wechseljahre hilfst“ oder in den Worten der Frauenzeitschrift nur in umgedrehten Worten: „Midlife-Crisis Frau: Wie du sie erkennst – und unterstützt.“ Im Original heißt der Titel: „Midlife-Crisis Mann: Wie du ihn erkennst – und unterstützt“.
Unter „wechsljahre frau mann helfen“ finde ich tatsächlich was im Netz dazu. Die meisten befassen sich jedoch mit den Symptomen und raten im Fazit dem Mann zu Geduld und Gelassenheit. Also nix mit 1. 2. 3. … Von wegen Veränderungen annehmen, Selbstvertrauen stärken …
Nach der Lektüre von „Die gereizte Frau: Was unsere Gesellschaft mit den Wechseljahren zu tun hat“ ist mir klar, wir haben noch viel Arbeit vor uns.
Aus dem Nähkästchen
Gerade mit meiner Mama telefoniert. Erzähle von den Wechseljahren, von den Symptomen. Sie „Da musst halt durch“ – „Nein“, denke ich so bei mir, „keine Frau „muss da durch“. Also klar schon in gewisser Weise, und trotzdem gibt es Hilfe und Unterstützung und die werde ich mir holen und einfordern.
Und ich werde darüber reden. Denn ich habe bereits erlebt, wie ein Mittel, welches ich bekam, damit mein 11cm großes Myom schrumpft, mir eine Zeit voller Leichtigkeit und ohne Perimenopausensymptomen bescherte.
Wenn es die Möglichkeit gibt, nur die Hälfte der momentanen Symptome einzudämmen und ein wenig mehr Ausgelichenheit zurückzubekommen, dann möchte ich diese Möglichkeiten nutzen. Die Energien, die sich da in mir freisetzen, könnte ich echt gut für andere Dinge gebrauchen, als mich über Kleinigkeiten zu ärgern oder wie Rumpelstilzchen aufzuführen. Nein, einfach ist das nicht. Und wenn überhaupt frau schon durch was muss, dann bitte gemeinsam. Die Koffer können wir dann immer noch packen.
Während ich hier so sitze und lese und nochmal drüber gehe, fällt mir noch viel mehr dazu ein. Das Thema „Wechseljahre“ möchte besprochen werden. Das war bestimmt noch nicht der letzte Artikel dazu.