Als Referentin bin ich oft im Wechselbad der Gefühle. Wenn eine Leitung, eine Fachberatung mich für einen Workshop bzw. Fortbildungstage bucht, dann freue ich mich sehr. Zusammen mit den Menschen versuche ich herauszufinden, was ihr Anliegen ist, was mein Job darin ist. Wenn der Ablaufplan und das grobe Konzept steht, spreche ich mich nochmal mit der Leitung oder den zuständigen Personen ab.
Das zweite Gefühlsbad kommt dann am Tag des Workshops. Wenn ich vor dem Team stehe oder sitze, mich vorstelle, den Ablauf vorstelle. Jedesmal bin ich wahnsinnig aufgeregt. Parallel läuft im Hirn: Wie nehmen die TN das auf? Kommen wir klar? Liege ich mit meinem Konzept richtig?
Letztens stand ich auch wieder vor Teilnehmer*innen. Ein Workshop. Das erste Mal ein Workshop auf einem Fachtag, das erste Mal mit diesem Thema. Die Aufregung legte sich auch nicht nach den ersten Worten, auch nicht nach den ersten Folien. Das Gefühl, hier stimmt was nicht, beschlich mich immer mehr.
Zwei Möglichkeiten (es hätte bestimmt noch mehr gegeben), hatte ich für mich jetzt: Entweder ich ziehe weiter meinen Ablauf durch oder ich schmeiße alles über Bord und frage, die Teilnehmer*innen, was sie brauchen.
Sie brauchten Austausch. Sie hatten viele Themen dabei. Beispiele aus der Praxis auf die sie gerne Antworten hätten. Okay, dann machen wir das.
Am Ende des Workshops blieben gemischte Gefühle bei mir. War ich jetzt gescheitert? Hatte ich versagt? Bin ich eine schlechte Referentin? Meine Selbstzweifel sprangen sofort an.
Auf der anderen Seite kleine feine kaum zu hörende wohlwollende Stimmen: Du hast nicht dein Ding durchgezogen. Du hast dich auf die Teilnehmer*innen eingelassen. Das ist doch wichtig.
Aber ich hatte doch alles anders vorbereitet. War gut vorbereitet. Was war nur passiert?
Hatte ich mir zuviel Druck gemacht? Eigentlich möchte ich gut sein, möchte, dass man mich als gute Referentin wahrnimmt. Möchte ja schließlich auch, dass die Teilnehmer*innen sich wohlfühlen. Vom Workshop viel mitnehmen können.
In diesem Fall eher nicht.
Nach ein paar Tagen des Nachdenkens, der Reflexion, wusste ich, ich hatte den Zugang zum Thema falsch gewählt. Hatte bedenken, ich könnte zuviel Zeit „vertun“ wenn ich die TN frage, was mit welchem Wunsch sie sich zum Workshop angemeldet haben. Was sie sich erwarten, welche Fragen sie mitgebracht haben. Aber sind 90 Minuten dafür nicht viel zu kurz?
An ihren Fragen hätte ich dann den Zugang anders wählen können. Hätte mit einer Kleingruppenarbeit einsteigen können. Statt den Zugang über die Theorie zu wählen.
Im Nachhinein fühlt es sich wie ein Scheitern an. Überlege, ob ich aufgeben soll. Wie bitte wird man denn eine gute Referntin?
Ich verstehe mein Handwerk. Doch, und auch das wurde mir klar, ich war nicht mit dem Herzen dabei. Ich hatte bei allem die Teilnehmer*innen nicht mitgedacht. Ich war zu sehr mit mir, mit der Theorie beschäftigt, so dass ich die Teilnehmer*innen und ihre Fragen aus dem Blick verlor.
Ja, diesen Workshop habe ich vergeigt.
Doch es hat mir gezeigt, dass ich zukünftig anders an die Themen rangehen darf. Dass ich, wenn ich die Teilnehmer*innen begeistern und mitnehmen will in die Welt der Theorie, ich zunächst die Praxis mitdenke. Wenn ich nah bei ihnen bin, sind sie nah bei mir und wir können gemeinsam den Bezug von der Praxis zur Theorie herstellen.
Denn das will ich ja, dass sie Impulse für ihre Praxis mitnehmen.
Gescheitert. Ja, ich bin gescheitert. An mir, an meinen Ansprüchen, an meinem „Druck“, den ich mir machte. Habe Menschen enttäuscht. Habe mich enttäuscht, weil ich es ja gut machen wollte.
Im ersten Moment fühlt es sich schlimm an, und am liebsten würde ich mich verkriechen, alles ungeschehen machen. Und ja, es fühlt sich auch noch ein paar Tage danach schlimm an. Weil es mit diesen Teilnehmer*innen, mit diesem Auftraggeber keine zweite Chance gibt. Kein, beim nächsten Mal, wird es anders und besser. Die Chance gibt es nicht. Nicht, wenn alle beschlossen haben, dass diese Referentin „schlecht“ ist. Oder wie es eine Teilnehmer*in ausdrückte „Mit dem/der Referent*in kann man Glück haben oder eben nicht.“ Natürlich wäre ich gerne die Referent*in, die weiterempfohlen wird, die die weitere Aufträge bekommt und nicht die, über die man hinter vorgehaltener Hand spricht und sagt, „die, bloß nicht.“ Dieser Druck ist es, der das Chaos an Gefühlen auslöst. Der umso schlimmer wird, je mehr man merkt, es läuft gerade schief.
Was es aber gibt, ist ein reflektieren. Ein Verstehen. Ein erkennen, wozu es gut war zu scheitern, zu versagen. Denn genau daraus kann Neues entstehen, können neue Erkenntnisse wachsen, können Veränderungen entstehen. Können neue Wege gegangen, neue Zugänge gefunden werden. Ja, manchmal braucht es ein Scheitern, Misserfolge, um neue Zugänge zu finden. Zur Weiterentwicklung.
Vielleicht macht das ja auch eine gute Referentin aus, dass sie reflektiert, dass sie nicht über den Misserfolg hinweggeht, sich schüttelt und einfach weiter macht, wie bisher. Sondern sich und ihr Konzept überdenkt, umgestaltet, sich selbst zurückstellt, die Perspektive wechselt. Das Konzept aus der Perspektive der Teilnehmer*innen er- und bearbeitet.
Klar wäre es gut gewesen, wenn diese Gedanken, wenn dieser Blick vorher schon da gewesen wäre. Die Teilnehmer*innen wären auf jeden Fall zufriedener nach Hause gegangen, hätten die Referentin vielleicht auch empfohlen. Für das Selbstwertgefühl der Referentin wäre es auch gut gewesen. Auf alle Fälle. Doch hätte sie diesen Reflexionsprozess durchlaufen, wäre sie auf andere Möglichkeiten gekommen, wenn alles gut gelaufen wäre? Wäre es nicht auf ein „weiter so“ hinausgelaufen, auch wenn es an der einen oder anderen Ecke gehakt hätte?
„Scheitern ist ein wesentlicher Bestandteil des Erfolgs“
Dieser Satz stammt aus einem Kartenset von Gabriele Dahn. Diesen Satz las ich, nachdem Workshop. Dieser Satz machte mich sehr nachdenklich. Denn er zeigte mir, dass ich neben der Möglichkeit, die Erfahrung, die ich im Workshop mit mir und den Teilnehmer*innen machte, wegwischen und als Misserfolg verbuchen konnte ohne mir weiter Gedanken über das Konzept oder andere Möglichkeiten, praxisnähere Zugänge, zu machen.
Ich konnte aber auch das Scheitern als Chance nehmen und mit mir und anderen in die Reflexion gehen, was gut war, was nicht so gut war, was in meinen Augen zum Scheitern geführt hat und wie ich was verändern kann, damit es beim nächsten Mal besser läuft. Das gilt ja nicht nur für diesen Workshop mit diesem Thema, sondern davon profitieren ja auch andere Workshops und Konzepte, die ich bereits durchführte, die gut waren, die positive Rückmeldungen bekamen. In denen auch ich als Referentin positive Rückmeldungen bekam.
Es kann auch die Chance sein, sich zu überlegen, ob es Möglichkeiten zu Probeläufen gibt, um neue Konzepte mit neuen Themen zu testen und Rückmeldungen dazu zu bekommen. Es kann die Chance sein, das Konzept zu hinterfragen, sich zu hinterfragen. Verbunden mit der Frage, wie kann ein gutes Konzept, erfolgreicher sein. Wie kann es gelingen, von mittelmässig auf gut und sehr gut zu kommen.
Das Scheitern zu reflektieren und dabei ehrlich zu sich selbst zu sein kann den Weg zum Erfolg ebnen.
Geht es anderen Referent*innen eigentlich auch so?
Es ist schon eine komische Welt. Manchmal denke ich, wie verdreht diese Welt manchmal ist. Wenn wir so tun, als ob wir niemals Scheitern, wenn wir so tun, als wären wir immer erfolgreich. Anstatt ehrlich zu sein, zu sagen, „Ja, auch ich bin anfangs gescheitert. Ja, auch ich hatte am Anfang Misserfolge. Doch dann habe ich folgendes getan….“.
Nein, das höre ich nicht. Hand aufs Herz, auch ich möchte nicht zugeben, dass ich mich vor Misserfolgen fürchte, dass ich mich fürchte zu Scheitern. Dass ich nicht scheitern möchte. Geschweige denn, dass ich einen Workshop so richtig vergeigt habe. Nein, ich möchte, dass jeder und jede denkt, ich bin erfolgreich, hätte Aufträge ohne Ende und wäre bis 2025 mindestens bis 2026 ausgebucht.
Doch die Realität sieht anders aus. Jeder Auftrag, der kommt wird gefeiert, wird akribisch vorbereitet. Was dann passieren kann, habe ich oben ausführlich beschrieben. Denn wer gut ist, wird weiter empfohlen, bekommt weitere Aufräge, ist erfolgreich.
Doch ist es wirklich so einfach?
Wenn ich mich auf den Webseiten der Kolleg*innen umsehe, dann sieht das alles nach sehr tüchtigen sehr erfolgreichen Menschen aus, die keine Misserfolge, kein versagen, kein Scheitern kennen. Wenn ein Scheitern in unserer Gesellschaft zugegeben wird, dann meist in der Form, dass jemand von seiner Depression erzählt und wie er es geschafft hat, diese zu überwinden. Nur um dann wieder zu sagen: „Seht her, wie erfolgreich ich bin und das nachdem ich die Depression überwunden habe.“
Aber diese kleinen Misserfolge, diese kleinen, „da habe ich versagt“, „dort bin ich gescheitert“, die gibt keiner zu. Niemand sagt, dass das auch ihm selbst passiert. Wir wollen immer alle in einem möglichst glanzvollen Licht da stehen.
Doch eigentlich sind wir doch alles Menschen. Als Mensch gehört es doch auch dazu, dass man Fehler macht. Versagt, mal keinen Erfolg hat, vielleicht auch länger keinen Erfolg hat, mit Projekten, Themen scheitert. Ja, es gibt diese „Fuckup Nights“ und trotzdem, kenne ich keine Referent*in, die offen erzählte, dass auch sie/er Misserfolge hatte. Voll abkackte und die Fortbildung, den Workshop gegen die Wand fuhr. Dabei wäre es so beruhigend zu wissen, dass es anderen genauso geht bzw. erging und gleichzeitig zu hören, wie sie es geschafft haben sich einen „guten Ruf“ zu erarbeiten. Wie sie trotzdem erfolgreich wurden.
Ich frage mich auch, was würde eigentlich passieren, wenn auf den Websites stehen würde, dass man als Referent*in nicht fehlerfrei ist, es sein kann, dass man in die falsche Richtung läuft, trotz guter Auftragsklärung – manchmal hat man ja so ein Brett vor dem Kopf, welches einen den Blick verstellt -. Was wenn man als Referentin sein Scheitern einfach zu gibt. So unter dem Motto „Wie ich einmal einen Auftrag so richtig gegen die Wand fuhr“. Sicher, das kann Kunden, potentielle Kunden abschrecken, es kann aber auch zu Sympathien führen. Doch, und ja, ich stelle mir diese Frage, führt Sympathie auch zu „die ist ehrlich, die beauftragen wir und engagieren sie für unsere Fortbildung“? Wohlwissend, dass dies auch schief gehen kann. Oder auch mit der Gewissheit, „hey, da gibt jemand zu, dass er Fehler macht, aber eben auch daraus lernt und sich weiterentwickelt“.
Scheitern ist Weiterentwicklung. Scheitern ist Lernen.
Schlumpfen Sie schön.
P. S.
Die Teilnehmer*innen in dem Workshop, waren sehr kooperativ, nutzten die Zeit, die wir dann noch hatten, nachdem ich mein Konzept und den Ablauf über Bord warf, für den Austausch, stellten ihre Fragen. Ich bekam auch gutes Feedback. Uns war jedoch klar, dass es auch anders besser hätte laufen können.
Auf einer Skala von 0 bis 10. Der Workshop war grottenschlecht (0) und der Workshop war saugeil (10). War es eine 3. – Die Referntin hat sich gut auf unser Fragen eingelassen, die Theorie vergessen wir mal.
Frage der Systemikerin: Was könntes du tun, um auf die 4 oder vielleicht sogar fünf zu kommen? – Mehr praxisnähe herstellen.
Mein großes Ziel: Mindestens die 8. Daran arbeite ich jetzt.