Gestern durfte ich eine sehr unwürdige Erfahrung machen. Eine Erfahrung, die mich inzwischen wütend und ratlos macht. Ratlos, weil es Mittel und Wege gibt, die es allen Frauen ermöglichen gynäkologisch untersucht zu werden. Wütend, weil ein Arzt, dem die Problematik der Patientin bekannt war, die Sprechstunde abbricht, weil … . Ja, warum eigentlich?
Doch der Reihe nach…
Als Betreuerin einer Mehrfachbehinderten Frau – Blind, geistig eingeschränkt, körperlich eingeschränkt – hatten wir einen gynäkologischen Termin in einer Klinik. Der bestellte Fahrdienst brachte uns pünktlich von der Seniorenresidenz zum MVZ und schob den Rollstuhl noch in den Fahrstuhl. Im richtigen Stockwerk angekommen zur Anmeldung.
Wer hier alleine mit Rollstuhl ankommen würde, hätte jetzt das erste Problem, die Tür geht nach außen auf und nicht automatisch, der Tresen ist so hoch, dass ein sitzender Mensch nur auf Holz schaut. Für einen Rollstuhl ist es zwischen Tür und Tresen sowieso zu eng.
Damit bleibt die Betreute erst einmal draußen. Drinnen melde ich uns an und übergebe die Überweisung plus Versichertenkarte. Der Tresen ist so hoch, dass ich bequem dort den Anmeldebogen ausfüllen könnte, wäre da nicht das Fenster. Durch die Durchreiche bekomme ich den Anmeldebogen, den ich so gut es geht ausfüllen soll.
Ich verlasse die Anmeldung und wir begeben uns ins Wartezimmer. Eigentlich müsste ich noch auf die Toilette, merke aber, dass die Betreute aufgeregt ist und sich einfach nur fremd fühlt. Es hilft nichts alles zu beschreiben, eine fremde Umgebung mit fremden Menschen ist eben eine fremde Umgebung.
Der Anmeldebogen ist ausgefüllt. Nach zweimaligen versichern, dass ich nur schnell zur Anmeldung gehe und ihn abgebe, lässt mich die Betreute gehen. In einem leeren Wartezimmer warten wir dann bis der Arzt kommt. Jede von uns hängt ihren Gedanken nach.
Der Arzt kommt und nimmt uns mit in sein Arztzimmer. Er öffnet mir die Tür damit ich den Rollstuhl durchschieben kann. Ich muss der Tür noch einen kleinen Schubser geben, damit wir durch die Öffnung kommen. Ich stelle die Betreute vor dem Gynäkologischen Stuhl ab, ich selbst werde zum Schreibtisch gebeten. Es folgt die obligatorische Frage, weswegen wir da sind, während er eifrig in seinem Computer nachschaut. Ich bin etwas verwirrt, sollte er das nicht dort lesen können? Dann fragt er, wer ich bin. „Die Betreuerin“, sage ich. Damit ist klar, ich bin kein Pflegepersonal.
Jetzt folgt etwas, was mich so ärgerlich, wütend und fassungslos macht, dass mir noch immer die richtigen Worte fehlen.
Wohlgemerkt, wir waren als Betreuerin und „Nicht mobile Person, die weder alleine stehen und gehen kann“ angemeldet.
Der Gynäkologische Stuhl war einer der, den man als Frau kennt. Keine besonderer Schnick-Schnack. Keine Lehnen, die man seitlich wegmachen kann. Es folgt:
Er: „Wir müssen sie ausziehen und sie muss sich in den Stuhl setzen“.
Ich: „Sie ist sehr schwer. Sie kann nicht alleine stehen und gehen. Ich kann sie nicht aus diesem Stuhl heben“.
Er: „Dann muss ich eine Mitarbeiterin holen“.
Er kommt mit seiner Mitarbeiterin zurück. Eine zarte Person von gefühlt 20 Jahren. Sie schaut mich an.
Ich: „Wir müssen sie aus dem Stuhl heben und in den anderen Stuhl setzen“.
Der Betreuten habe ich inzwischen erklärt, dass sie sich ausziehen muss und umsetzen, damit sie untersucht werden kann. In der Seniorenresidenz haben sie eine Hebelifter, der sie aus dem Rollstuhl ins Bett hebt. Ansonsten braucht sie eine stabile Halterung an der sie sich festhalten kann, damit die Sitzunterlagen gewechselt werden können bzw. die Stühle. Drehen und wenden sehr schwierig. Mir ist rätslehaft, wie wir sie aus dem Rolli in den Gynäkologischen Stuhl setzen sollen.
Wir versuchen es zweimal.
Die Betreute hält sich an mir fest. Hat jedoch Angst umzufallen und wird so unsicher, dass sie zittert. Sie muss sich wieder setzen.
Der Arzt hält sich dezent im Hintergrund und beobachtet das ganze. Die Mitarbeiterin scheint darauf zu hoffen, dass ich ihr sage, was zu tun ist und wo sie die Betreute anfassen soll. Während ich noch nie einen Menschen aus einem Rollstuhl gehoben habe und keinerlei Erfahrung damit habe, wie und wo man jemanden anfasst und mit welcher „Technik“ es funktionieren könnte, jemanden der weder stehen noch laufen kann, von A nach B zu bringen geschweige denn in einen Gynäkologischen Stuhl.
Ich: „Könnten wir sie nicht auf die Liege setzen? Das wäre viel einfacher für sie?
Er: „Nein, das geht nicht.“
Ich schiebe den Rollstuhl noch näher an den Gynäkologischen Stuhl. Der natürlich ziemlich unbeweglich ist. Der Arzt macht keinerlei Anstalten auch nur irgendwas an diesem Stuhl zu verändern. Weder die Höhe noch die Beinklappen. Die uns im Weg sind.
Ich: „Die Liege geht wirklich nicht?“
Er: „Nein!“
Ich rede mit der Betreuten, rede ihr gut zu. Sie hilft nach Kräften mit. Doch auch dieser Versuch scheitert.
Der Arzt ungeduldig: „Das hat so keinen Sinn. Wir brechen das hier ab. Ich werde der Seniorenresidenz eine Meldung machen, die müssen das nächste Mal halt einen Pfleger mitschicken.“
Damit war das Thema für ihn erledigt und wir aus dem Behandlungszimmer wieder draußen. Immerhin haben sie mir noch zugestanden, die Betreute wieder anzuziehen.
Draußen bin ich ratlos und verärgert. Gleichzeitig muss ich die Betreute beruhigen, die glaubt alles sei ihre Schuld. „Nein“, sage ich „hier hat das System und der Arzt versagt. Die wussten ganz genau, dass wir kommen und dass du eine Hebehilfe brauchst bzw. jemand erfahrenen, der dich aus dem Rollstuhl heben kann. Dich trifft keinerlei Schuld“. Nein, Menschen mit einer Behinderung sollten teilhaben können am Leben und notwendigen Untersuchungen, nicht aber sich schuldig fühlen, weil sie ein Mensch mit Behinderung sind. Was für eine verdrehte Welt.
Vor dem Aufzug dann eine Toilette. Endlich kann ich aufs Klo gehen. Ich versuche noch mich zu sortieren. Frage mich, warum sie nicht noch jemanden geholt haben, der erfahrener ist. Schließlich ist das hier ja eine Klinik. Gleichzeitig tut mir das alles so leid, für die Betreute, weil sie in so einer unwürdigen Situation steckte und der Arzt und die Mitarbeiterin keinerlei Anstalten machten, der Betreuten auch nur in irgendeiner Art und Weise zu helfen. Kein „Ich bin der und die“. Keine persönliche Ansprache an die Patientin. Sie wurde behandelt wie ein Gegenstand, den man am liebsten los werden möchte.
Am Ende fühlte es sich dann auch für mich so an. Ein disfunktionaler Gegenstand, der nicht repariert werden kann. Der einfach nicht passt und weg muss.
Noch im Flur telefoniere ich mit dem Fahrdienst, der uns 20 Minuten später draußen abholt. Ich bin noch total ratlos, erzähle was passiert ist, einem mir völlig Fremden. Er ist entsetzt, von dem was ich erzähle, kann nicht verstehen, dass man ihr und mir jede Hilfe verweigert hat. Langsam kommt die Wut, die Wut darüber, wie Menschen mit einer Behinderung in diesem System behandelt werden.
Recherche
Als ich dann am Nachmittag nach Hause komme, gehe ich an den PC. Es interessiert mich, ob es Praxen gibt, die auf Frauen mit Mobilitätseinschränkungen spezialisiert sind. Auf Rollstuhlfahrerinnen. Schließlich müssen doch auch sie gynäkologisch untersucht werden können. Oder etwa nicht?!
Zugegeben bis zu diesem Tag habe ich mir zu diesem Thema keinerlei Gedanken gemacht. Ich war natürlich auch so naiv, dass ich dachte, dass die Praxis, die wir aufsuchten, behindertengerecht ist und einen Lifter hat. Das diese Praxis auf Rollstuhlfahrerinnen vorbereitet ist.
Eine erste Recherche ergibt ein sehr erschreckendes Bild. Es gibt kaum Gynäkologische Praxen, die behinderten gerecht sind. Eigentlich gar keine, die auf Rollstuhlfahrerinnen eingestellt sind.
Ich finde Artikel über eine Ärztin in Frankfurt. Sie hat sich auf Frauen mit Behinderung, Rollstuhlfahrerinnen eingestellt. Ihr Gynäkologischer Stuhl ist behinderten gerecht gebaut. Sie würde die Frauen auch auf der Liege untersuchen, die sie hoch und runterfahren kann. Das ist zwar für sie unbequemer, für die Frauen jedoch oft angenehmer, steht da.
Zu den Artikeln: Gynäkologische Sprechstunde für Frauen im Rollstuhl. (Diese Praxis hätte ich mir gewünscht)
Es gibt sie die barrierefreien Praxen, wie zum Beispiel die Frauenklinik in Erlangen. Auch in München gibt es Praxisräume mit Hebelifter. Es sind Ausnahmen, dabei sollten sie doch die Regel sein. Wir, die uns damit rühmen, dass jeder Mensch ein Recht auf Teilhabe hat, schaffen es nicht behindertegerechte Praxen zu schaffen. Ich meine damit nich die Tür, die breit genut ist für den Rolli, oder einen Aufzug, sondern Behandlungsräume, Ärzt*innen und Sprechstundenhilfen, die auf Frauen mit Rollstuhl, Mehrfachbehinderung eingestellt sind. Nein, es kann nicht jede Praxis einen Hebelifter haben, aber es könnte mehr Ärzt*innen geben, die sich auf Patientinnen im Rollstuhl einlassen.
Was bleibt?
Im Prinzip bei der Kassenärztlichen Vereinigung recherchieren, Praxen abtelefonieren und ausprobieren. Nächste Anlaufstelle für mich mit der Betreuten: Erlangen. Für mich und für sie bedeutet es viel Umstand. Viel Zeit mit dem Fahrdienst. Denn in ihrer Umgebung wurde ich auf die schnelle nicht fündig. Eine gynäkologische Untersuchung jedoch wäre auch für sie wichtig, allein schon wegen der Vorsorge.