Liebe Leserin, lieber Leser, dieser Blogbeitrag könnte durchaus negative Nebenwirkungen haben. Es könnte sein, dass Sie eine Melancholie verspüren oder Depressivität. Dies wird kein „ich verbreite heute Gute-Laune-Artikel“. I’m sorry.
Vorgestern in der Schreibstube gewesen. Ich war früh da. Ich wollte was tun. Ich spüre schon seit Tagen, dass es mir nicht gut geht. Immer wieder dachte ich über eine Auszeit nach. Vorgestern bin ich mir selbst entglitten. Ich saß am Schreibtisch, vor dem PC, ich hatte etwas auf farbigem Papier ausgedruckt. Den ganzen Morgen schon war mir weinerlich zumute. Ich konnte es nicht einordnen. Ließ die Stimmung auch nicht zu. Versuchte mich auf meine Arbeit zu konzentrieren. Ich war damit beschäftigt, meine Sätze und Wörter für eine Methode auszuschneiden. Bis ich Papier und Schere sinken ließ, und mich fragte, was ich da eigentlich mache. Der Gedanke, dass diese Arbeit gerade so gar keinen Sinn mehr hat, leuchtete wie Blinkreklame in meinem Kopf auf. Die Erkenntnis traf mich ziemlich hart, dass ich zurzeit nur versuche meine Zeit totzuschlagen, mit Dingen, die eigentlich keinen wirklichen Nutzen haben. Nicht mehr.
Die liebe Kollegin von oben sieht mich im vorbeigehen an meinem Schreibtisch sitzen. Sie steckt den Kopf rein, sie fragt mich eigentlich nach einem Buch, ob ich es da hätte. Ich antworte ihr ziemlich übellaunig, dass ich keine Bücher mehr hier hätte. Weil ich ja nur noch ein paar Präsenztage hier habe und die Zeit mit ausräumen und aufräumen verbringe. Sie antwortet mir immer noch freundlich, während ich bereits bei der Erkenntnis meines Tonfalls und noch vor Ende meines Satzes in Tränen ausbreche. Ich bitte sie zu gehen. Ich bin völlig neben mir. Weiß gar nicht so richtig was passiert ist. Ich heule los wie ein Schloßhund. Irgendwann beruhige ich mich. Die liebe Kollegin hat mir eine Mail geschrieben. Falls ich reden wolle, sie könne gut zuhören. Nur ich, ich sitze da und verstehe die Welt nicht mehr. Ich antworte ihr, dass es mir leid täte. Seitdem klar ist, dass ich gehen muss, hatte ich mir nicht erlaubt zu weinen. Hatte die Trauer nicht zugelassen. Ich bin ja ein starkes Mädchen. Aber ich spüre auch, da ist noch etwas anderes. Etwas, was ich nicht greifen kann. Etwas, was mir entgleitet. Merke, dass ich nicht reden kann. Noch nicht. Müsste es erstmal für mich sortieren. All das schreibe ich ihr.
Ein Anruf. Die Leitung einer Kinderinsel. Sie sagt den Termin für den nächsten Tag ab. Die Erkältungswelle hat um sich gegriffen. Sie hat feinen Antennen. Spürt, dass etwas nicht stimmt. Ich versuche möglichst sachlich vom Ende meines Vertrags zu berichten. Und dann sage ich etwas, was mich weiter aufhorchen lässt: „Ach wissen Sie, ich langweile mich hier zu Tode.“ Wir reden noch ein wenig, lachen sogar miteinander. Sie bietet mir einen Job als Erzieherin an. „Sie wissen doch“, sagt sie, „wir bauen, da brauchen wir Personal. Sie kennen uns ja“. Wir scherzen sogar, dass das ein Vor- wie auch Nachteil sein kann. Dann legen wir auf, bin wieder allein mit meinen Gedanken.
Mein Termin rückt näher. Ich packe meine Sachen. Ich bin mir nicht sicher, ob ich am nächsten Tag in die Schreibstube gehen werde und nehme vorscihtshalber alles mit. Dann fahre ich los. Den Weg, den ich lang muss, bin ich schon tausendmal gefahren. Unterwegs verzettel ich mich. Merke, dass ich irgendwie komisch automatisch fahre. Ohne nachzudenken. Es fällt mir schwer mich auf den Weg zu konzentrieren. Klar zu denken. Dann stehe ich an einer Kreuzung. Theoretisch, weiß ich, dass ich in beide Richtungen fahren kann. Nach links würde ich mich einkreisen müssen, nach rechts, wäre direkter. Ich stehe an der Kreuzung, es fällt mir schwer mich zu entscheiden. Ich fahre nach rechts. Kurz den Gedanken, jetzt ist es falsch, nur um 100 Meter weiter zu wissen, ich bin doch richtig. Ich parke. Ich habe noch fast 20 Minuten Zeit.
Wieder muss ich einer Kinderinsel sagen, dass ich sie nicht begleiten werde, dass wir den Prozess gar nicht erst anfangen. Es ist Zeit. Ich gehe rein. Wir hatten bereits am Morgen miteinander telefoniert. Sie hatte nachgefragt, ob der Termin denn stattfinden würde, sie hätte munkeln hören, dass ich aufhöre. Klar, hat sie das Munkeln hören. Die Kollegin, die mich fragte, ob ich die Kinderinsel begleiten würde, ist die Trägerin der Kita. Die Kollegen wissen ja Bescheid. Ich schaffe es meine Gefühle im Auto zu lassen. Als ich die Kinderinsel betrete, bin ich die professionelle Kinderinselberaterin. Die mit dem Plan. Wir reden eine Stunde, wir lachen, ich bin witzig. Wir entwickeln miteinander eine Lösung. Ich versuche, sie an einen Kollegen abzugeben, wenn es von seinem Arbeitgeber aus auch klar geht. Wir verabschieden uns. Draußen. Durchatmen. Das Gefühl hat sich heimlich aus dem Auto geschlichen. Es packt mich direkt auf dem Weg dorthin. Mein Gedanke: „Kann mir mal jemand sagen, was ich hier eigentlich für eine Sch…. mache?“
Ich fahre nach Hause. Unterwegs beschließe ich, dass wir abends grillen. Es soll der letzte schöne Tag werden. Also Grillgut einkaufen und noch ein paar Kleinigkeiten. MonAmour ist mit dem Kühlschrank beschäftigt, als ich heimkomme. Ich setze mich zu ihm in die Küche. Ich habe die Grillkohle vergessen. Wir beschließen miteinander noch Kohle zu kaufen. Wir dehnen den Weg zum Einkaufstempel aus. Ich erzähle ihm, wie es mir geht, wie ich mich fühle. Es kommt noch ein anderes Gefühl dazu. Ich gehöre nicht mehr dazu. Fühle mich wie eine Aussätzige. Ignoriert. Und noch ein Gefühl schleicht sich dazu. Neid. Neid auf die Kollegen. Die haben ihren festen Job. Ein sichere Existenz. Bei mir löst sich gerade alles auf.
Ich gehe früh zu Bett. Wache mitten in der Nacht auf. Die Gedanken fahren Karussel. Werfe allen möglichen Leuten, alle möglichen Sachen an den Kopf. Merke, dass das Gefühl, des Ausgeschlossenseins, auch von meiner Haltung, den Kollegen gegenüber herührt. Ein Teufelskreis. Die Gedanken drehen sich weiter, Sorgen breiten sich aus. Theoretisch hätte ich zwei potentielle Arbeitgeber, die Interesse an mir haben. AG A, weiß aber noch nicht, ob und wie es überhaupt weitergeht. AG B muss erst einen Antrag stellen. 20 Stunden. Von ihm kam auch ein zweites Angebot für einen Honorarjob. Ich bin an beidem interessiert. Nur, die 20 Stunden. Sind eigentlich zu wenig. Und der AG sitzt eigentlich viel zu weit weg von meinem Zuhause. Fahrtkosten fressen Gehalt. Ich bin hier die mit dem Job, mit dem Haus, mit der Finanzierung.
Irgendwann ist es endlich Zeit zum Aufstehen. Ich fahre in die Schreibstube. Irgendwann kommt die Chefin. Fragt, wie es mir geht. Sie hat da wohl was munkeln hören. Ich bin ehrlich, sage ihr, wie die Gefühlsalge ist, dass ich keinen Sinn mehr in meinem Job sehe, werde zunehmend wütender. Sie versucht lösungsorientiert einen Ausweg zu finden. Abwehr macht sich breit. In mir. Ich gestehe ihr auch, dass ich Sorge habe, abzugleiten. Die dunkle Seite greift nach mir. Noch wehre ich mich. Wir beschließen gemeinsam, dass ich mir eine Auszeit nehme. „Gehen Sie zum Arzt“, sagt sie. „Lassen Sie sich aus dem Verkehr ziehen, tun Sie nur das, was Ihnen gut tut. Sortieren Sie sich.“ „Ja“, sage ich. Mehr kann ich nicht. Mehr geht nicht. Dann mache ich weiter, mit meinem sinnlosen Job, der nur Sinn macht, wenn ich weiterhin Kinderninseln begleite.
Heute Abend habe ich einen Termin beim Arzt.